Hallo zusammen!
Ich bin gut in Kiew angekommen. Am nächsten Morgen nach unserer eisig kalten Nacht, erkenne ich dann auch, warum es auch so besser war, dass wir in der Nacht nicht weiter fahren konnten. Die gut ausgebaute Autobahn nach Kiew, auf die wir nach einigem hin und her auf kleinen Nebenstraßen kommen hat in unregelmäßigen Abständen Bereiche, die voller Panzersperren sind. So eng zusammengestellt, dass sich davor immer ein kleiner Stau bildet, weil man mit einem PKW kaum Platz hat, sich da sicher durchzuschlängeln… Oft liegen dort Autoteile, die beim Anecken abgebrochen sind auf dem Weg und viel schlimmer als paar Kilometer sieht man Fahrzeuge, die volle Kanne ungebremst in eine Panzersperre gefahren sind und in Folge dessen dort völlig zerstört drinstecken. Die Panzersperren haben natürlich keine Reflektoren und sind bei Nacht kaum zu sehen und wenn man über einhundert Km/h fährt hat man kaum eine Chance rechtzeitig zu reagieren… Und zum Thema Stau, ja wir standen im Stau ziemlich lange. Auf vier Spuren alles voller Fahrzeuge, die in die Stadt hineinfahren wollen. Auf der Gegenseite kaum Fahrzeuge. Das überrascht mich. Natürlich wollen viele die Stadt mit Hilfsgütern ausstatten, wie die bei deren Verladung ich noch in der letzten Woche geholfen hatte. Nach über einer Stunde Stau, erreichen wir die Kontrolle der Stadt Kiew. Man prüft das Auto sehr genau und will alles darüber wissen, warum wir hier sind. Nach der Kontrolle werde ich gleich nochmal rausgewunken. Man hat mein Handy in der Halterung gesehen und erklärt mir, dass das nicht erlaubt ist. Auch die Speicherkarte in meiner Dashcam wird formatiert. Mein Handy wird einmal inspiziert. Mir wem habe ich Kontakt? Wieso? Welche Bilder sind in meiner Galerie? Welche Messenger nutze ich? Für all das und mehr interessieren sich die Soldaten. Das soll ich in meiner Zeit in Kiew mehrfach täglich erleben. An jeder Straßenecke sind solche Kontrollen und die Handys und Taschen werden fast immer durchsucht. Einmal stehe ich an einer Straßenecke über eine halbe Stunde. Alle meine ukrainischen Kontakte werden angerufen und minutenlang über mich befragt. Und das obwohl ich schon mehrere Kontrollen in den letzten Minuten hinter mir habe und gleichzeitig noch mehrere vor mir. Ein Weg von nur zwei Kilometern zum Bahnhof kann so eine längere Zeit beanspruchen. Ansonsten ist Kiew eine Geisterstadt. Wer hier noch lebt versteckt sich. Ansonsten begegnen einem überall Soldaten. Auf sechsspurigen Einbahnstraßen, die normalerweise voller Fahrzeuge sind, fahre ich ganz alleine. Immerwieder muss ich vorsichtig große Panzersperren umfahren. Larissa lotst mich zum Bahnhof. Dieser wurde komplett umgebaut, alle Glasscheiben entfernt und alles voller Schutznetze gegangen, um die Gefahren bei Explosionen für die Menschen zu minimieren. Der Bahnhof ist der absolute Hotspot für flüchtende Menschen. Alles ist voller Menschen. Larissa führt mich zu einem Stand an dem mehrere Sanitäter stehen. Sie kommen aus aller Herren Länder und sind die Ansprechpartner für freiwillige Sanitäter und Ärzte, die helfen wollen.
Dennis ein Krankenpfleger aus einer Notaufnahme in Washington, nimmt sich meiner an und erklärt mir alles. Zuerst die Ernüchterung. Es gibt strenge Regeln und viel Bürokratie für Arbeiter im Gesundheitswesen. Jeder der hier anfangen möchte und keine ukrainischen Papiere hat muss mehrere Anträge stellen, die normalerweise mehrere Wochen brauchen und das in Friedenszeiten. Wie ich erfahre, arbeiten die Behörden hier !sehr! langsam. Aber nun gut, das kennt man als Deutscher ja… Nur das ich eigentlich nicht vorhatte so lange hier zu bleiben. Dennis gibt mir noch zwei andere Optionen mit sofortiger Einstiegsmöglichkeit. Zum einen werden dringend Sanitäter in der Fremdenlegion gesucht. Ich wäre dann also Sanitäter für die vielen Soldaten, die aus dem Ausland zum kämpfen in die Ukraine gekommen sind. Das will ich aber erstmal nicht, da ich nicht Teil des ukrainischen Militärs werden möchte und auch nicht an der Front vorhatte zu arbeiten.
Die andere Option ist Dr Chris Hammond, aus den Vereinigten Staaten, der hier ein Team von Sanitätern und Ärzten um sich aufbaut und Wege sucht, damit unkompliziert zu helfen. Er hat selber das Problem, dass ihm die Behördenvorgänge zu lange dauern… Er freut sich, dass ich sein Team unterstützen möchte und will sich so später bei mir melden.
Larissa verabschiedet sich noch an Bahnhof von mir und ich suche mir ein Hotel. Am Maidan Platz komme ich gut unter vor allem habe ich mich für diese Gegend entschieden, weil dieses Viertel stark vom Militär bewacht wird und eine gute Luftabwehr hat.
Was Luftangriffe angeht, gewöhne ich mich schnell daran, das hier Tag und Nacht immer wieder die Sirenen losgehen und ein Luftalarm vom nächsten abgelöst wird. Ständig hört man laut Explosionen und die Luft erzittert, wenn einen die Druckwelle erreicht. Am Himmel hört man oft das Rauschen von Kampfjets. Mich beunruhigt das kaum, jedoch möchte ich mich nicht in den Randbezirken aufhalten, wo Tag und Nacht Wohnhäuser zerstört werden. Ich versuche mich viel in geschlossenen Räumen aufzuhalten und nur rauszugehen, wenn kein Luftalarm ist. Einmal bleibe ich kurz mit dem Auto stehen, weil mein Navi natürlich nichts von den Panzersperren weiß und ich eine andere Route brauche. Sofort fährt ein Polizeiwagen von hinten heran und kommuniziert mit mir hektisch und laut über das Megaphon. Als ich nicht reagiere, steigt der Polizist aus und brüllt mich an.
Das hat ganz schön für Stress bei mir gesorgt. Als er dann versteht, das ich nur Englisch und Deutsch spreche, erklärt er mir, dass in dem Gebiet unmittelbar Raketenbeschuss erwartet wird. Ich soll besser meine Fenster runterkurbeln, damit diese nicht durch die Druckwelle reißen und mich verletzen und OHNE ANZUHALTEN sofort aus diesem Gebiet fahren. Zum Glück konnten die russischen Raketen von der Luftabwehr abgehalten werden. Am Abend will ich das erstmal alles kurz verarbeiten. Um nicht mit meinem Auto in die ganzen Kontrollen zu kommen beschließe ich einen kurzen Spaziergang zu machen und in einem Park zu gehen, der unmittelbar in der Nähe des Hotels ist. Ich gehe entlang einer Anhöhe. Man hat Blick auf ganz Kiew, den Fluss, der sich wie ein blaues Band durch die Stadt zieht und alle Sehenswürdigkeiten und Hochhäuser. Ein atemberaubender Ausblick. So viel Grün und süße Häuser mit Liebe fürs Detail, hätte ich nicht erwartet. Ich gehe an einer kleinen Bergbahn vorbei, die mit Kirchenglasfenstern und einer kleinen Gondel die Anhöhe mit dem Fluss verbindet. Eine Glasbrücke führt über eine Schlucht, der Park ist schön angelegt und überall Sitzecken mir tollem Ausblick. Aus Reflex zücke ich mein Smartphone und will ein Bild davon machen. Sofort kommt ein Soldat zu mir gelaufen, will mein Handy sehen und sagt dass ich das Bild löschen soll und keine weiteren Bilder von Kiew machen darf. Man will maximal verhindern, dass die Russen irgendwie sehen können, wie es in der Stadt aussieht und wo welche Militäreinheiten stehen. Dafür habe ich vollstes Verständnis. Umso schöner ist es das Handy einfach stecken lassen zu können und diese Situation einfach so auf sich wirken zu lassen. Man ist in übrigen NIE allein. Egal wo man ist, laufen auch Soldaten Patrouille und das ist auch gut so. Ein Gefühl von Unsicherheit kommt so auf jeden Fall nicht auf. Und unfreundlich sind diese auch auf keinen Fall. Man freut sich sehr, das hier auch so viele Menschen zum helfen ankommen. Gestern hält mich ein Soldat an und sagt, nach dem ich meinen deutschen Pass zeige: „Guten Tag! Sprechen sie Deutsch. Entschuldigen sie mein Deutsch das nicht so gut ist.“, mit starkem russischem Akzent. Er wirkt stolz, dass ihm das gleich einfiel. Wir beide lachen. Er sagt: „Fahren sie!“ Und ich verabschiede mich mit einen „Slava Ukraini!“.
Dann gerate ich selbst in einen großen inneren Konflikt. Erst am Freitag erfahre ich, dass ich mein Praktikum in der nächsten Woche nicht verschieben kann. Die Dienste im Rettungsdienst in Stralsund, die ich schon jetzt gehabt hätte, hat mein Chef verständnisvoll für mich verschoben. Nun weiß ich, dass ich entweder hier zu Lasten meiner Ausbildung bleibe oder mich sehr bald auf den Rückweg nach Stralsund machen muss…. Auf der anderen Seite bekomme ich zwei direkte Jobangebote hier. Zum einen sucht man dringend einen freiwilligen Erste-Hilfe-Ausbilder, der freiwilligen Soldaten, die hier ohne Grundausbildung ankommen, erklären kann, wie man Blutungen stoppt und mit Verletzungen umgeht, bis die Feldsanitäter übernehmen. Das zweite Angebot kommt von Dr Hammond, der ein Ärzte und Sanitäterteam zusammenstellt, um Schwerverletzte aus einem Krankenhaus in Odessa zu evakuieren, bevor die russische Flotte aus vierzehn Kriegsschiffen, die Kurs auf Odessa genommen haben, eine Evakuierung unmöglich machen. Mit jedem Sanitäter lässt sich ein Patient mehr retten.
Jetzt muss ich eine schwere Entscheidung treffen. Was ist mir wichtiger? Meine Ausbildung oder weiter hier helfen können?
Die Entscheidung ist für mich unglaublich schwer. Einerseits wäre ich bereit meine Ausbildung aufs Spiel zu setzen, um hier wirklich wertvolle Arbeit zu leisten. Auf der anderen Seite bedeutet mir auch meine Ausbildung unglaublich viel! Am Ende entscheide ich mich für einen kleinen Kompromiss. Grundsätzlich entscheide ich mich für die Ausbildung und das Ende meines Ukraine-Einsatzes. Jedoch sollte die Rettungsmission in Odessa noch auf Grund der Sicherheitslage möglich sein, werde ich mich daran beteiligen, weil ohne mich ein Patient mehr dort zurück bleiben würde. Und ich werde nicht nach Stralsund Tag und Nacht durchfahren und riskieren, dass ich hier im Kriegsgebiet unkonzentriert einen Fehler mache oder später in den Kaparten eine Kurve zu eng schneide, weil ich zu müde bin. Ich kläre mit meinen Ausbildern, dass ich das Krankenhauspraktikum nicht am Montag, sondern ein paar Tage spater antreten werde. Je nachdem, ob es was mit der Rettungsmission in Odessa wird, werde ich zwischen Dienstag und Samstag in Stralsund ankommen. Vorausgesetzt natürlich, dass ich keine bösen Zwischenfälle erlebe.
Ich muss aber auch eingestehen, das mir nun das Herz blutet. Zwar bin ich erleichtert, eine Entscheidung getroffen zu haben, jedoch möchte ich nicht daran denken, dass ich bald entspannt zu Hause sitzen werde und mein Aquarium putze, während hier weiter Wohnblöcke bombardiert werden… Oder wenn ich an die „Lapalien“ denke, die ich im Rettungsdienst oft behandel, im Gegensatz zu den wirklich schwer verletzen Menschen hier, denen ich wirklich helfen könnte, wenn ich für einen längeren Zeitraum bleiben würde. An die Abreise möchte ich deshalb erstmal nicht denken und deshalb versuche ich mich abzulenken..
So hatte sich doch gerade geklärt, das ich hier als Sanitäter und Erste Hilfe Ausbilder gebraucht werde. Ich hatte bis zum Schluss gehofft, dass ich eine positive Rückmeldung bezüglich des Verschiebens meines Praktikums erhalte und ich nicht in diesen inneren Konflikt komme. Mein persönlicher Wunsch war und ist es in Kiew zu bleiben, bis der Krieg hier vorbei ist.
Doch nun schaue ich nach vorne. An der Situation lässt sich nichts ändern und ich bin dankbar, überhaupt die Möglichkeit gehabt zu haben, hier zu helfen. Bis jetzt bereue ich es kein Stück, meinem Herzen gefolgt und hier her gekommen zu sein.
Ein ein paar Stunden geht es los. Ich verlasse Kiew. Doch bitte dahin bereitet mir die Stadt einen unruhigen Abschied. Ein Luftalarm jagt den nächsten und mir fällt den Schlaf.
Ich hoffe es geht euch gut und ich bin froh, euch alle bald wiederzusehen!
David :)