Hallo zusammen!
Nachdem ich gestern die Grenze passiert hatte, erwarteten mich viele Überraschungen. Zum einen sind die Kontraste in der Ukraine groß. Während auf der einen Seite Menschen in Wellblechhütten leben, werden auf der anderen Seite Solarparks und Luxusappartments errichtet. Die Ukraine scheint ein Land auf der Schwelle zur hochmodernen Industrienation gewesen zu sein. Überall wurde modernisiert und gebaut, wo es nur geht. Doch all diese Baustellen sind von jetzt auf eben stehen gelassen worden und eine neue Realität hat Einzug genommen. Das ganze Land arbeitet an der Verteidigung. Die Straßen sind voll. Die Menschen sehr geschäftig. Jeder hat es eilig. Große Flüchtlingsströme sind nicht erkennbar. Man sieht jedoch oft Reisebusse durchs Land fahren. Darin sitzen alles Menschen, die ihre Heimat hinter sich lassen müssen. Die meisten sind aber entschieden.
Das Land ihrer Großeltern und Kinder muss verteidigt werden. Und so sieht man an JEDER Straßenecke Menschen, die aus Beton, Sandsäcken und Schrott Straßensperren errichten. Überall stehen bewaffnete Menschen und auf den Straßen wird überall kontrolliert. Ich muss mich alle paar Kilometer ausweisen und erklären, was ich hier tue. Viele Menschen gucken mich an. Es gibt kaum Ausländer, die jetzt noch in der Ukraine sind. An der Tankstelle (die zu meiner Überraschung zum Teil noch gut funktionieren) klopft ein netter Herr an mein Fenster. Er spricht mich an und bedankt sich für die Unterstützung aus Deutschland! Das wisse man hier sehr zu schätzen.
Nachdem ich in sechs Stunden 250km hinter mir bringe (durch die Checkpoints kommt es immer wieder zu langen Staus), erreiche ich Lviv. Eine moderne Großstadt mit einem wunderschönen historischen Stadtkern. Die Bauart dieser Gebäude erinnert mich sehr an die Stralsunder Altstadt.
Vor Ort werde ich von unglaublich freundlichen Menschen in Empfang genommen. Ich bin am Kunst-Palast in Lviv. Dieser Ort ist nun zum größten Verteil- und Sortierzentrum für Hilfsgüter in der Ukraine geworden.
Hier kommen Spenden aus dem ganzen Land an, werden sortiert, katalogisiert und nach Anforderung der zerbombten Städte und des Militärs zusammengepackt und dann wieder auf LKW und Transporter verladen, damit sie dort hinkommen, wo sie am dringendsten benötigt werden. Man erlebt hier, dass JEDER TUT, WAS ER KANN. Alte Frauen legen Obst ein und machen Kompott, welches sie hier abgeben für die Front oder nähen aus unverwertbaren Kleiderresten Tarnvorhänge, die das Militär zum Schutz von Stellungen benötigt.
Die älteren Männer bauen aus Schrott, Gleisen, Rohren und mehr. Straßensperren, Panzerblockaden und Öfen. Jeder trifft für seine Straße und sein Viertel Vorbereitungen dafür diese gegen die Russen zu verteidigen.
In diesem Lager kommen täglich abertausende Tonnen Hilfsgüter an, werden sortiert und wieder verschickt. Man erlebt, dass sich die riesigen Hallen rund um die Uhr mehrfach täglich bis unter die Decke füllen und wieder leeren.
Als ich mit meinem kleinen Auto ankomme, ist gleich eine kleine Gruppe Männer zur Stelle, die routiniert alles im Akkord ausladen. Man freut sich vor allem über die vielen Medikamente und die warme Kleidung für Soldaten, die gerade dringend benötigt wird. Diese werden sofort in extra Tüten gepackt, damit sie besonders schnell in Kisten für die Soldaten gelegt werden können. Nur wenige Stunden später ist alles auf dem Weg in Militärtransportern in Richtung Front. Aber auch über die vielen Hilfsgüter für Bedürftige Menschen ist man sehr dankbar. Ich helfe bis in die Nacht mit. Sehr tief beeindruckt hat mich ein Moment, als eine Frau sich an ein Mikrofon stellt, Nachricht von der Front gibt und dann ein Kapitel aus der Bibel liest. Von einem Moment auf den nächsten, wird aus hektischem Treiben hunderter Helfer absolute ehrfürchtige Stille. Mann hätte eine Stecknadel auf den Boden fallen hören können. Sie beendet ihre Ansprache. Mit „Amen“ und so etwas wie „Es leben die Ukraine!“ (Mein ukrainisch ist leider kaum vorhanden). Darauf hin antwortet die ganze Halle im Chor mit den selben Worten und direkt brechen alle wieder in ihrem hektischem Treiben auf. Später holt mich der Vater meiner Kontaktperson ab und führt mich zu ihnen nach Hause, wo ich unterkommen werde. Er erklärt mir, das eigentlich schon Ausgangssperre ist. Er hat eine Sondergenehmigung mit der er mich begleitet, damit ich durch die Checkpoints komme. Überall ist es komplett dunkel. Niemand darf das Licht einschalten. Man will nicht, zu auffällig sein, und so Luftangriffe verhindern. In einigen Teilen der Stadt dürfen wir nicht mit Licht fahren. Zur Orientierung darf ich nur die Warnblinkanlage nutzen. Ein komischer Anblick wenn auf großen Straßen, die komplett dunkel sind ein paar Autos mit Warnblinkanlage fahren….
Nach mehreren solcher Checkpoints, wo mich mein ukrainischer Freund sicher durchlotst, kommen wir bei ihm zu Hause an. Mich erwartet ein trockenes Bett und warmes gutes Essen. Ich erlebe eine ganz besondere Gastfreundschaft!
Müde von der langen Anreise und dem Helfen im Zentrum falle ich ins Bett und schlafe mich aus. Diese ganzen Eindrücke wollen erstmal verarbeitet werden.
Euer David! 🙋‍♂️

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