Das ist nicht das Ende, es ist auch nicht der Anfang vom Ende, aber vielleicht ist es das Ende des Anfangs. – Winston Churchill
Mir ist bewusst, dass nun das Ende meines Ukraine-Einsatzes kommen würde. Es war mir in den letzten Wochen immer bewusst, doch nun würde es Realität werden und genau, wie es vor zwei Wochen ein unglaubliches Gefühl war, jetzt endlich losfahren zu können, überrennen mich die unterschiedlichsten Gefühle, als ich mich in mein Auto setze und in der Abendsonne aus Kiew fahre. Mein Herz schlägt seitdem ich diese Stadt betreten habe für diese Stadt und die wundervollen Menschen, die mutig und entschlossen für sie eintreten. Auch beschäftigt mich die Frage sehr, warum es jetzt zu Ende sein muss?!?! So hätte ich doch schon am nächsten Tag als Erste Hilfe Ausbilder anfangen können und der Aufbau eines internationalen Feldlazaretts von unserem Ärzte und Sanitäterteam, war auch in Planung. Wie viel Sinn hätte es gemacht geblieben zu sein?
Ich bin mir sicher, irgendwann werde ich erkennen, dass alles gut war. Und ein Gefühl in mir wird immer stärker, dass ist kein Ende. Es ist das Ende von einem Anfang. Auch Winston Churchill hatte dies einmal in einer ganz anderen Situation gesagt. Nun weiß ich, dass es wichtig ist nach vorne zu schauen. Wer weiß, wann ich das nächste Mal durch die Tore dieser schönen Stadt fahren darf?!
Ich habe meine Route akribisch geplant und alle Truppenbewegungen der Russen dabei beachtet. Jedoch ist dieser Tag auch ein sehr chaotischer. Man merkt, dass die Russen auf einmal von allen Richtungen angreifen und versuchen dadurch an einigen Stellen mehr Land zu gewinnen. Deshalb versuche ich über die Südroute, trotz dessen, dass mich das viele Stunden fahrt kosten wird, um alle umkämpften Gebiete einen weiten Bogen zu spannen. Ich fahre durch viele kleine Dörfer. Immer wieder muss ich Männern der Dörfer meinen Ausweis zeigen und das Auto inspizieren lassen, damit diese kontrollieren können, wer durch ihre Heimat fährt. Stück für Stück verändern sich die Dinge leicht. So schleichend, dass ich es zunächst gar nicht bemerke. Die Situation wird angespannter. Die Männer bei ihren Kontrollen genauer und die Checkpoints größer. Später stehen im Hintergrund sogar Männer, mit angelegter Waffe, um im Notfall blitzschnell eingreifen zu können. Einen Checkpoint später sind es keine einfachen Dorfbewohner mehr, die kontrollieren, sondern Berufssoldaten, schwer bewaffnet. Zum ersten Mal habe ich bedenken auf einer guten Route zu sein. Ich schreibe noch eine Nachricht an meine Familie, ob sie dafür beten können, dass ich sicher voran komme und nicht in aktive Kampfhandlungen gerate. Dann bricht die Verbindung ab. Plötzlich ist die ganze Region stromfrei, man hat kein Netz und auch die Straßen sind kaum noch als solche erkennbar. Weil auch noch andere einheimische Fahrzeuge auf meiner Route sind und die einzige Alternative viele, viele Stunden Zeit gekostet hätte, entscheide ich mich vorsichtig weiter zu fahren. Dann kommt der letzte reguläre Checkpoint. Man klebt eine Plakette mit ukrainischer Flage drauf auf mein Fahrzeug, damit man später erkennen kann, dass ich AUS ukrainischem Gebiet komme und nicht russisch bin. Ein Soldat sagt „Good Luck!“. Ich stelle sicher, dass ich auch meine ganze Schutzausrüstung korrekt angelegt habe. Dann fahre ich mit einem flauen Gefühl, vorbei an den Soldaten und der schweren Artillerie, die dort steht, weiter. Es wird dunkel und da hier weder noch Menschen leben, noch Strom vorhanden ist, ist mein Auto, dass vor mir und das hinter mir. Das einzige, was sich durch diese Dörfer Kilometer vor Kiew bewegt. Ich versuche noch einen Standort und eine kurze Nachricht nach Deutschland über mein Sattelitentelefon abzusetzen. Für mehr als drei Stunden fahren wir wie im Konvoi, alle weit auseinander, aber immer zusammen auf der gleichen Route. An einem Waldstück bleib ich kurz stehen. Man hört viele Schüsse, zum Glück weit weg. Ich habe keinen militärischen Hintergrund und kann sowas sicherlich schlecht einschätzen. Mein Gefühl sagte mir, dass dort ein Schusswechsel stattfindet und dass das ganze bestimmt ungefähr 1000m von mir entfernt stattfindet. Es ist dunkel. Man sieht kein Licht im Wald. Die Geräusche sind das einzige, dass ich wahrnehme. Ich steige wieder in mein Auto und fahre ganz langsam weiter und versuche keine hektischen Bewegungen zu machen. Als wir weiterfahren hört man, dass sie die Schussgeräusche weiter entfernen. Bis irgendwann wieder eine bedrückende Stille herrscht… Irgendwann sieht man in der Ferne Scheinwerfer, die in unsere Richtung gerichtet sind. Durch diese Blendung kann ich nicht erkennen, was dort ist, jedoch weiß ich, dass es in so einer Situation gefährlich ist, dem aus dem Weg zu gehen, da man sich so schnell verdächtig macht. Ich fahre ganz langsam in die Richtung des Lichts und habe die Hoffnung, dass (gemessen an meinem Standpunkt auf der Karte) es sich um den ersten ukrainischen Checkpoint auf „sicherem Gebiet“ handelt. So ist es auch. Man durchsucht wieder mein Auto, checkt meinen Pass und lächelt mich freundlich an. „Go!“, sagt der Soldat. Dann hoffe ich, jetzt wieder sicher zu sein. Als zuerst wieder Handynetz vorhanden ist und ich dann wieder elektrisches Licht am Horizont zu sehen ist, bin ich überglücklich und so dankbar, dass mein Weg um alle Schusswechsel HERUM geführt hat. Das sehe ich auch nicht als Zufall an. Ich habe wiedereinmal Gottes Schutz erlebt und bin ein zweites Mal knapp um Gefahren herum oder vorbei gefahren…
In den Stunden danach komme ich gut in Richtung Grenze voran. Um 03:00 nachts stehe ich vor der Grenze. Außer einigen Reisebussen voller Menschen, ist hier gerade nicht viel los. Ich erlebe, wie Soldaten Männer aus den Bussen herausfiltern und diese sich von ihren Familien/ Kindern verabschieden müssen und dann wieder zu Fuß in Richtung Ukraine gehen. Das trifft mich zu tiefst. In kaum einem Moment, war das menschliche Leid in diesem Land realer, menschlicher, als in diesem. Sonst sieht man viel Militär und Zerstörung, hier erlebe ich eine ganz andere Seite des Krieges. Nach nur zwanzig Minuten und ohne tiefergehende Kontrollen, winken mich die polnischen Grenzbeamten durch und der Schlagbaum zu EU öffnet sich. nicht weit dahinter mache ich eine kurze Pause und versuche mich für eine kurze Zeit auszuruhen, um dann direkt weiter nach Deutschland zu fahren. Die zehn Stunden danach sind bestimmt, durch meinen unglaublichen Antrieb wieder die Heimat, meine Freunde und Familie zu sehen. Die Fahrt geht wie im Flug vorbei. Ich erlebe, wie der ganze Druck dieses Krieges von mir abfällt. Wenn in einem Lied im Radio ein Knall zu hören ist, mache ich selbst noch auf der A20 in Deutschland sofort das Radio aus, um zu hören, ob es Schüsse sein könnten. Einer von vielen Reflexen und Routinen, die ich mir in den letzten Wochen angewöhnt hatte. Mir wird bewusst, dass ich mich an den Krieg gewöhnt hatte, in den letzten Wochen. Der Friede in der EU ist etwas, an das ich mich in den ersten Tagen auch erst wieder gewöhnen muss, so makaber es auch klingt. Als ich nach 22h Reise ein Richtungsschild mit der Aufschrift „Stralsund“ sehe. Ich fange laut an zu jubeln. Verrückt nach so kurzer Zeit von Kiew wieder in Stralsund angekommen zu sein. Und das ohne Verluste. Vor der Reise habe ich mich darauf eingestellt, alles zu verlieren, mein Auto, meine Sachen, meine Gesundheit. Ich hatte mich innerlich auf jedes Szenario eingestellt und „vorbereitet“ und nun stehe ich hier gesund und munter. Verrückt!
Zu Hause springe ich am Abend erstmal in den Strelasund (ich bin begeisterter Eisbader bei der DLRG) und sehe dort die ersten bekannten Gesichter. Nachdem ich auch meine Eltern umarmt habe und mich etwas mit ihnen unterhalten habe geht es so schnell wie möglich in Richtung Bett… Der erste lange Schlaf seit Wochen ohne Luftalarm-Unterbrechungen. Das tut gut.
Die 24 Stunden danach sind geprägt durch viele Nachbereitungen, Telefonate und organisatorisches. Ich gehe auch wieder Arbeiten im Krankenhaus. Nur das die Situation hier natürlich eine ganz andere ist. Noch Tage später bin ich im Herzen noch in Kiew, auch wenn ich physisch hier bin. Ich sehne mich am Wochenende danach, Freunde zu treffen, feiern zu gehen und Ruhe zu genießen: Unbeschwert sein!
Etwas, was es in Kiew nicht gibt. Das tut mir weh, doch mein Leben geht weiter.
Jetzt bleibt mir nur noch „Danke“ zu sagen!
Danke für das viele Geld, Danke für die vielen Hilfsgüter, Danke für die lebenswichtigen Tipps und Tools, Danke für die Gebete, Danke für die ermutigenden Nachrichten, Danke dass so viele Menschen hinter mir Standen, Danke für Erfahrungen, die mein Leben prägten, Danke dafür, dass ich helfen konnte, Danke für jeden, der mir in der Ukraine weitergeholfen hat, sein Haus für mich aufgemacht hat und mich in dieser schwierigen Situation mitversorgt hat. Ihr seid alle toll!
Ich weiß nicht, wie ich das angemessen in Worte fassen soll…
Ich bin gespannt, wie alles so weitergeht mit der Ukraine, aber auch mit mir. Das wird die Zeit zeigen, doch nochmal, wie Winston Churchill sagte:
Das ist nicht das Ende, es ist auch nicht der Anfang vom Ende, aber vielleicht ist es das Ende des Anfangs. – Winston Churchill