Hallo zusammen!
Für mich hat sich die letzten Tage eine gewisse Routine gefunden. Die Arbeit kommt immer in Schüben so dass man Zeiten hat, sich ein wenig auszuruhen, bis dann wieder ein oder mehrere LKW kommen, entladen und dann wieder beladen werden. Immer wenn viel Arbeit anfällt stehen gleich dutzende Menschen bereitet, Ketten zu bilden, um tonnenweise Hilfsgüter zu bewegen. Es ist sehr beeindruckend, was viele Menschen zusammen ohne Hilfsmittel schaffen können. Ich kann mir jetzt langsam vorstellen, wie die Menschheit es schon vor tausenden Jahren geschafft hat beeindruckende Bauwerke, wie die Pyramiden zu errichten.
Was mich auch beeindruckt, ist das alles hier ein genaues System hat. Alle Spenden, die eintreffen, werden genau katalogisiert. Trotz dem chaotischem Treiben auf dem großen Gelände hier, haben immer alle Ordner den Überblick, was wo und in welcher Menge vorhanden ist. Wenn ein LKW kommt, um Dinge abzuholen, muss er eine Anforderung dafür vom Militär oder den betroffenen Städten haben. Dann wird alles von Pickern zusammengestellt und zu dem LKW getragen. Bevor wir einladen, prüft ein Ordner, ob alles richtig zusammengestellt wurde und genau nach Anforderung in den LKW geladen wird. Erst wenn er sein Okay gibt, fangen wir an einzuladen.
So wird sichergestellt, dass alles genau da ankommt, wo es gebraucht wird und nichts verloren geht, denn wir beliefern mit unserem Lager die gesamte Ukraine und obwohl hier hunderte Tonnen Hilfsgüter am Tag durchlaufen, ist das leider auch nir ein Tropfen auf den heißen Stein. Wir brauchen uns nicht vormachen, dass wir mit diesem Lager den Bedarf mehrer Großstädte bedienen können, aber ohne die Arbeit hier, würden Menschen verhungern und erfrieren. Das ist hier jedem bewusst. Zumal die Temperaturen wieder am Sinken sind. Der Wetterbericht hat heute bis zu -10°C vorausgesagt…
Deshalb sind hier Verbindlichkeiten wichtig. Jeder der sich hier meldet, wird mit einer Armbinde markiert und die Schichten sind 12h lang. Es ist nicht üblich früher zu gehen oder lange Pause zu machen. Jeder tut sein Menschenmöglichstes. Einige Arbeiten 24 oder gar 36 Stunden am Stück, schlafen sich etwas aus und sind dann nächsten Tag wieder hier. Und dabei haben viele von diesen guten Leuten sogar noch Familien aus dem Osten zu Hause aufgenommen, um die sie sich noch so ganz nebenbei kümmern, wie auch meine Gastgeberin.
Heute habe ich mich mit einigen Jungs in meinem Alter, die flüssig Englisch sprechen (was eher selten ist) unterhalten. Einer erzählte mir, dass er aus einer Stadt im Bombenregen geflohen ist, noch bevor die Russen sie einnehmen konnten. Seine Familie ist noch dort, jetzt arbeitet er hier so hart, wie er kann, damit seine Familie weiter durch unsere Hilfsgüter überleben kann.
Andere erzählen mir davon, dass sie Studenten seien und sich wünschten ihr Bachelor oder Masterstudium abschließen zu können, vielleicht sehr bald wieder in einem Onlinesemester, hofft der eine.
Doch eins sagen sie alle zu mir mit dem gleichen stolzen Gesichtsausdruck: „Bald werden wir unser Land wieder aufbauen können! Wenn der Krieg vorbei ist gehen wir in die kaputten Städte und werden alles wieder herrichten, damit unser Land wieder so schön wird, wie zuvor und unsere Kinder einmal hier in Perspektive aufwachsen können.“ Alle sind sehr optimistisch und sind gewiss, dass der Krieg bald vorbei sein wird. Eine Frau erzählt mir, dass sie mir gerne die Schönheit ihrer Stadt zeigen würde und fragt, ob ich so in 4-5 Tagen Zeit dafür hätte, wenn der Krieg vorbei ist. Ich muss mir die Tränen verdrücken.
Auf der anderen Seite werden auch Witze gemacht. Jemand sagt zu mir: Da hat doch alles keinen Sinn, lasst uns Putin um die Ecke bringen und dann holen wir unsere Frauen und Kinder zurück. Viele lachen und einer sagt: Gute Idee, dann mal los!
Ich weiß, das ist sicherlich nicht die Form Humor, die man gewohnt ist und vielleicht kommt das hier als Nachricht falsch rüber. Aber in ihrem Optimismus, wird gerne mal eine einfache Lösung für die ganze Not in diesem Land, wie diese angebracht und so getan, als würde man so mal eben noch vor dem Mittag den Krieg beenden können. Ein anderer sagt zu mir: Bist du müde? Ich sage nein, worauf er lacht und sagt: Dass ist die wunderbare ukrainische Luft! Deshalb sind unsere Soldaten so stark.
Man ist sehr interessiert, was man in Deutschland so denkt. Einige haben Angst, dass die deutschen mit ihnen so umgehen, wie mit muslimischen Flüchtlingen und Angst vor Flüchtlingen haben.
Wenn ich davon erzähle, was in Deutschland gerade gedacht wird und dafür getan wird, dass jeder Ukrainer aufgenommen werden kann, sehe ich schnell erleichterte Gesichter.
Auch wollen viele von mir wissen, ob ich denke, dass die Ukraine in die EU aufgenommen werden könnte und wenn ja wie lange das so dauern würde. Jeder hier wünscht sich für sein Land eine EU Mitgliedschaft. Davon zeugen auch viele Europaflaggen, die hin und wieder neben der Landesflagge hängen und das auch schon vor dem Krieg. Ich bekomme immer wieder einen Schulterklopfer oder werde auf Deutsch angesprochen mit Aussagen wie „Dankeschön“, oder „Guten Tag“. Wie ich gemerkt habe, können hier viele ein paar Fetzen deutsch. Auch werde ich mehrfach am Tag gefragt, wer sich um sich kümmert und ob ich eine Unterkunft brauche. Die ukrainische Gastfreundschaft ist eine Art Gastfreundschaft, die ich vorher noch nicht erlebt habe. Und ich bin mir sicher, dass das nicht an dem Krieg gerade liegt. Man denkt hier sehr viel an andere und sorgt sich darum, dass es dem Nächsten gut geht. Das ist meines Erachtens die Stärke dieses Volkes. Vorhin kommt eine Frau mit einem warmen Essen zu mir gerannt, die habe Angst gehabt, ich hätte noch nichts gegessen, dann reicht sie mir den Teller und sagt fast schon im Befehlston „Iss!“. Als ich fertig bin kommt ein älterer Herr um die Ecke, er kann etwas Deutsch und fragt mich: „Haben Sie schon etwas gegessen? Ich kann gerne etwas bringen!“
Die Ukrainer sind mir ein großes Zeugnis für Nächstenliebe und das obwohl ich Christ bin und Nächstenliebe nichts unbekanntes für mich ist. Diese Art der Hingabe über die eigen Möglichkeiten hinaus und mehr zu geben, als man eigentlich zu geben hat, kann ich kaum mit meinem Verstand nachvollziehen.
Vor ein paar Tagen kommt mein Freund Juri zu mir und fragte mich, ob ich nicht ein Interview geben könne, weil ich der einzige Deutsch sprechende hier bin. Ich willige ein und lerne Stefan aus Hamburg und seinen schwäbischen Kameramann kennen. Die beiden sind die ersten nicht Ukrainer, die ich hier kennenlerne. Die berichten mir, dass sie in der Abteilung für Krisenberichterstattung arbeiten und viele Trainings gemacht haben. Dabei ging es aber immer nur um Flutkatastrophen, Stürme oder ähnliches. Das sie sehr bald in einem Kriegsgebiet stehen würden hätten sie nicht gedacht. Doch sie haben ein großes Herz und wollen helfen, im deutschen Fernsehen ungeschönt von der Situation zu berichten. Es ist ihnen wichtig von unserem Zentrum zu berichten, damit man in Deutschland weiß, dass die Spenden ankommen und weiterhin dringend benötigt werden. Wir sind fast zwei Stunden zusammen. Ich erkläre ihnen alles bis ins Detail. Sie nehmen mehrere Interviews auf arbeiten an einen Beitrag über unsere Arbeit hier. Als ich mit ihnen über den verletzten Feuerwehrmann aus Borna erzähle, der jetzt verletzt in Kiew liegt, nehmen sie darüber gleich noch einen Beitrag auf. Die brennen genauso für dessen Rettung, wie ich. Sie bieten an, ihre Live-Übertragungstechnik zur Verfügung zu stellen, damit Deutsche Ärzte seinen Zustand einschätzen können. Noch an selben Abend stehen sie einen Antrag bei ihrer Redaktion, mich begleiten und unterstützen zu dürfen, den Feuerwehrmann zu retten. Sie hoffen in ein paar Tagen die Sicherheitsfreigabe dafür zu bekommen. Wir tauschen die Nummern aus und bleiben in Kontakt. Der Kammermann sagt zu mir zum Abschied, wenn dieser scheiß Krieg vorbei ist, gehen wir in Binz ein Fischbrötchen essen! Da ist es schön. Wie lachen und die beiden ziehen ihrer Wege schon in einer halben Stunde müssen sie die nächste Live Schalte machen. Ich merke beim Ansehen meiner Interview im Nachhinein, dass ich mal wieder an meinen „Ähhms“ und „Ähhs“ arbeiten sollte :-D Das ist mir vorher gar nicht du bewusst gewesen.
Was mich persönlich angeht bin ich zwar dankbar, diesen Ort zum Helfen gefunden zu haben, jedoch merke ich, dass es mich innerlich weiterzieht und ich auch als Sanitäter helfen möchte. Es gibt viele Menschen im Land, die dringend Hilfe brauchen, aber niemand mehr für die da sein kann. Ich bewege das im Gebet für mich. Am nächsten Tag sitze ich in meinem Auto und telefoniere. Da klopft eine Frau an mein Fenster. Sie ist begeistert und möchte ein Foto mit mir und dem Auto machen. Wir kommen ins Gespräch. Sie erzählt, dass sie ein ukrainisches Kinderhilfswerk leitet. Hier in der Stadt kommen viele Waisen aus den Kriegsgebieten an und junge Frauen, die hochschwanger sind. Es gibt kaum Kapazitäten, Frauen bei einer Geburt oder Schwangerschaftskomplikationen zu übersetzen. Ich erzähle ihr, dass ich Sanitäter bin und auch Menschen mit meinem Auto zur Grenze in Sicherheit bringen könnte. Die freut sich sehr und will mit ihren Kollegen in Krankenhaus sprechen, wo ich am besten unterstützten könnte, weil medizinisches Personal gerade überall händeringend gesucht wird.
Ich bin gespannt, wie es weiter geht.
Weiterhin ist mir ein Anliegen, nicht würde in einer Woche nach Deutschland zurück zu müssen, wegen der Arbeit.
Ich werde deshalb am Wochenende Kontakt zu meinem Chef aufnehmen und ihn fragen, ob es dafür Optionen gibt.
Seid gegrüßt und danke für Eure starke Unterstützung aus Deutschland!! Es ist immer schön zu wissen, dass so viele Leute dahinter stehen 💛
-Euer David