Einige Zeit ist ins Land gegangen. Nachdem ich im März in der Ukraine war fiel es mir nicht leicht, mich wieder an die Situation in Deutschland zu gewöhnen und darauf klarzukommen, dass ich in einem Land lebe in dem „9-Euro-Ticket“ oder ein Schlagersong („Layla“) wichtigere Themen sein können(das ist nur eine Feststellung, ich will das an dieser Stelle nicht verurteilen), als die unglaubliche Ungerechtigkeit, die ein europäisches Nachbarland gerade erlebt, in dem Krankenhäuser zerbombt und Familien auseinandergerissen werden. Damit und einer Corona-Pandemie, die im März immer noch das Gesundheitssystem und damit auch den Rettungsdienst (wo ich angestellt bin) und die Krankenhäuser stark forderte, ging es mir nicht gut, was sich auch auf meine Gesundheit auswirkte. Von den vielen Gedanken versuchte ich mich durch viel arbeiten abzulenken und ignorierte dabei Signale, die mein Körper mir sandte, um zu signalisieren, dass ich vielleicht mal ein zwei Gänge runterschalten sollte, doch das Gegenteil war der Fall. Ein Teufelskreis, der nicht lange gut ging und eine lange Pause nach sich zog und mich dazu zwang einige Wochen auf dem Abstellgleis zu stehen.
Ich lernte mich wieder auf das zu besinnen, was am Wichtigsten ist. Zwar erleben wir alle die Herausforderungen der Inflation, Sanktionen und Pandemienachwirkungen und das könnte einem Angst machen, aber dennoch dürfen wir dankbar sein. Meiner Meinung nach ist auch das ein Zeichen gegen Leid und Ungerechtigkeit, sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen, wenn im Fernsehen vom dritten Weltkrieg geredet wird, die Wirtschaft einzubrechen droht oder spekuliert wird, ob wir im nächsten Winter noch genug Energie zum heizen haben.
Damit will ich nicht sagen, wir sollten all das ignorieren: Im Gegenteil.
Darüber wie es zum Beispiel den Menschen gerade in der Ukraine im Krieg, in Flüchtlingslagern am Mittelmeer oder auch im Ahrtal ein Jahr nach der Flut geht, dürfen wir unser Bewusstsein auch wieder auf die vielen kleinen Dinge richten, für die wir dankbar sein können und die mal viel zu schnell als selbstverständlich wahrnehmen mag, statt sich von Sozialen Medien Angst vor einer Krise nach der nächsten machen zu lassen.
So genoss ich den Sommer, machte eine spontane Reise nach Schweden zu Freunden, verbrachte viele warme Tage bei einem kühlen Bierchen am Strand, genoss es wieder ausgelassen zu feiern, auf Hiddensee in den Sonnenuntergang zu schwimmen oder mit meinem Moped einsame Feldwege zu befahren.
Doch bei alledem vergaß ich auch nicht, was ich in der Ukraine erlebte. Ich erinnerte mich an Gespräche mit Jungen Leuten in meinem Alter, die voller Zukunftsträume waren und nun alles dafür taten, dass sie einmal ihre Heimat wieder aufbauen dürfen oder an starke Frauen, die unermüdlich für andere da waren und dort im Einsatz waren, wo man sie brauchte.
Ich verstand zwar bis vor kurzem immer noch nicht, warum ich im März so plötzlich Kiew verlassen musste. Warum ich nicht weiter mit Dr. Chris Hammond an dem Aufbau eines Lazaretts arbeiten und Menschen aus Odessa evakuieren konnte. Doch nun sehe ich wie wichtig die letzten Monate für mich persönlich waren und ich bin dankbar, im letzten halben Jahr beide Seiten erlebt/ gelebt zu haben, im Frieden in Deutschland und im Krieg in der Ukraine.
Ich hoffte zwar mittlerweile noch darauf, dass es irgendwie weitergehen könnte, aber irgendwann habe ich mich einfach damit abgefunden, dass mein Leben hier ist und just an diesem Tag meldet sich das „Haus der Hoffnung“ bei mir auf eine alte Anfrage. Das Haus der Hoffnung ist eine Hilfsorganisation, die sich nur von Spenden finanziert und krasses in der Ukraine bewirkt hat. Sie fahren zum Teil mit einem Konvoi gepanzerter Fahrzeuge in die Ostukraine, bringen Hilfsgüter und evakuieren kranke und hilfsbedürftige Menschen von dort. Plötzlich ist er wieder da, der Gedanke vom Anfang: Soll ich fahren?